Ildikó von Kürthy - Herzsprung (Buchtipp/Rezension/lesen)
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Bookinists Buchtipp zu

Ildikó von Kürthy

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© 2003



Wenn das Liebe ist...
Ildikó von Kürthy - Herzsprung

s wäre deutlich besser gewesen, wenn Amelie die Mailbox ihres Freundes Philipp nicht abgehört hätte, denn so säuselt ihr die Stimme der Nachwuchs - Talkmasterin Bente Johannson ungefragt Liebesgeflüster ins Ohr. Und das auch noch früh morgens, einen Tag vor Amelies 32. Geburtstag. Alles hat seine Grenzen. Sollte sich ihr Philipp, ein angesehener Berliner Rechtsanwalt, der in vielen Punkten an den Promi-Anwalt Matthias Prinz erinnert, vom Mann zur Memme entwickeln, womöglich vom Kavalier zum Beckenrandschwimmer mutieren? Dabei kann es sich schlicht nur um eine Geschmacksverirrung handeln!

Jetzt ist Rache angesagt, ungebremst und ohne Rücksicht auf Animositäten. Mit einem Ruck türmen sich neben Jil - Sander - Sommeranzügen, feinen Kaschmirpullovern von Gucci auch seidene Boxershorts auf einem Haufen. Das alles übergießt Amelie, ihre Freunde nennen sie Puppe, mit einem sehr, sehr teuren Rotwein. "Die edlen Stoffe saugen den Wein auf, als seien sie in ihrem vorherigen Leben ehrgeizige Wischlappen gewesen."

Nach dieser Glanztat setzt sie sich zusammen mit Mrs. Marple, ihrem oberhässlichen, aber ungeheuer lieben Hund ins Auto und braust in den Sonnenaufgang. Natürlich nicht ohne jede Menge weitere Verwicklungen auszulösen. Die kleinste davon ist, dass Amelie ihren Friseur Burgi dazu überredet sie unverzüglich in ihrem Liebeskummer zu trösten und das muss selbstverständlich sofort sein: Sie wartet auf ihn am Rastplatz Stolper Heide/Ost. Nicht gerade ein einladender Ort für ein neues Styling. Doch Burgi hat, wie es sich für einen Meister seiner Zunft gehört, auch kein Problem Amelie postwendend ein neues Outfit mit Strähnchen und allem was dazu gehört zu verpassen. Leider ist seine Telefonnummer nicht im Anhang mitgeliefert, er könnte sich sicher vor Kundinnen nicht mehr retten.

Mit "Mondscheintarif" hat Ildikó von Kürthy ihre Leserinnen bereits gut amüsiert und auch "Herzsprung" ist eine herrliche Slapstick-Komödie, für einen verregneten Herbstabend. Keine große Literatur, aber wer will schon Goethe oder Shakespeare, wenn der Liebste sich mit einer anderen verabredet? © manuela haselberger






Ildikó von Kürthy - Herzsprung
© 2001, Reinbek, Wunderlich, 248 S., 16.90 €
© 2002, Rowohlt, 248 S.,  8.90 €
© 2002, Hoffmann und Campe, 2CDs, 19.90 €


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Fortsetzung des Lesezitats ...

Samstag. 5:30

Ich habe einen schlechten Charakter und eine gute Figur. Und wie Jeden Morgen, kurz bevor ich die Augen öffne, danke ich dem Schicksal dafür, dass ich so bin, wie ich bin. Und wie jeden Morgen freue ich mich über meine diversen Vorzüge.

Ich kann gut einparken, und noch besser kann ich "Nein" sagen. Erst gestern habe ich ein lästiges, übergewichtiges Frauenzimmer niedergeschlagen, das sich an der Käsetheke zwischen mich und meinen Gouda light drängelte. Ich meine, sie war wirklich nicht an der Reihe. Und ich, ich bin wirklich nicht zu übersehen.

Zurzeit bin ich dabei, mich von meinem Liebhaber zu trennen. Er langweilt mich mit seinem ewigen Gefasel von Hollywood, wo er gerade seinen ersten Kinofilm dreht. Ich mag es nicht, wenn Männer ständig über sich reden. Wann soll ich denn dann über mich reden ?

Nein, ich habe nie zu den Primeln gehört, die glauben, man wird bewundert, wenn man bloß genug bewundert. Mit großen Augen hochgucken. "Aah !", und "Oooh !", rufen, als würde man gerade Zeuge des Olympiade-Eröffnungs-Feuerwerks. Pah. Ich bin nur ein Meter sechzig groß, aber ich schaue schon lange zu keinem mehr hoch. Jeder ist so groß, wie er sich fühlt. Und man fühlt sich größer, wenn man runterguckt. Männer lieben dich, wenn du sie erniedrigst. Frag mich nicht, warum. Es ist so.

Mein Liebhaber zum Beispiel - ich möchte seinen Namen nicht nennen, denn er ist sehr bekannt, sehr reich und natürlich sehr verheiratet - hat die Dreharbeiten mit Winona Ryder unterbrochen, als ich ihm vergangene Woche am Telefon andeutete, dass ..... S. 7

Meine schlechteste Eigenschaft ist: Naivität. Ich meine, ich arbeite daran, aber solche festgetretenen Charakterzüge sind verdammt schwer loszuwerden. Ich geh mir ja selbst damit auf die Nerven, aber ich bin wirklich sehr leicht zu beeindrucken. Rechne immer damit, dass man mir die Wahrheit sagt. Glaube bis heute an die Treue - nicht an meine allerdings, aber das ist ja auch was anderes. Zähle nie das Wechselgeld nach und glaube jedem, der sagt, dass er in seinem Leben noch keine faszinierendere Frau als mich kennen gelernt hat.S. 14

Wenn meine Eltern zur Kur waren, und ich Freunde eingeladen hatte. In der Küche stand das kalte Büffet mit Nudelsalat und Käsehäppchen. Süßer Sekt und Bier im Kühlschrank. Im Wohnzimmer lief laut Police. Im Schlafzimmer meiner Eltern verlor Christine Merkstein, die in Deutsch neben mir saß, ihre Unschuld. Im Bad übergab sich Georg Seitz, der Schlechteste in Mathe, weil er zu viel Martini Rosso getrunken hatte. Joachim gab mir einen Zungenkuss, tanzte mit mir vor der Schrankwand, und Sting sang:


Roxanne! You donīt have to wear
that dress tonight
Walk the streets for money
You don't care if itīs wrong or if itīs right
Roxanne !

Und um eins war alles vorbei. Die Freunde gegangen, der Zungenkuss fertig geküsst, der Asti Spumante leer, der Martini leer, das Haus leer. Kein Ort ist leerer als der, der gerade noch voll war.

Nie war ich einsamer als an solchen Orten. Wenn der Trubel vorbei ist. Wenn du noch glaubst, das Lachen und die Stimmen zu hören. Aber es ist alles still. Es riecht noch nach Menschen, nach Freunden, aber die sind nicht mehr da. Es riecht nach Rauch, aber keiner fragt mehr, ob es noch Zigaretten gibt. Es riecht noch nach Schweiß aber keiner schwitzt. Du hast keine Menschen mehr um dich, sondern nur noch die Spuren, die sie hinterlassen haben. Ich weiß noch immer, wie das ist. Als wäre es gestern gewesen. Dabei ist es so verdammt lange her.

Ein Kfz schleicht vor mir her. Macht den Ku'damm sauber für den Samstags-Ansturm. Ich überhole den Wagen langsam. Wer sitzt drinnen? Egal. Es ist der einzige Freund, den ich im Moment habe. Jeder, der jetzt wach und auf der Straße ist, ist mein Freund. Ich schaue in die Fahrerkabine und winke blöde.

Der Mann sieht mich nicht. Er schaut konzentriert in seinen rechten Außenspiegel, damit er auch jedes Fitzelchen Müll erwischt. Er hat eine orange Schirmmütze tief in die Stirn gezogen, eine Zigarette hängt in seinem Mundwinkel. Sicher ein Mann, der seinen Kummer mit sich alleine ausmacht.

Ich bin ganz froh, dass er mich nicht gesehen hat. Der hätte bestimmt nicht zurückgewinkt. Männer neigen generell nicht zum Zurückwinken. Sie freuen sich auch nicht, wenn man in der Kantine laut "Juhuuu, Olaf! ", ruft, ihnen abends in der Kneipe von hinten die Augen zuhält und vergnügt fragt: "Rahat mal, weher das iihiist?" Oder auf dem Bahnsteig bei ihrem Anblick gerührt stehen bleibt, die Koffer fallen lässt und brüllt: "Wer kommt in meine Armeeee!!??"

Mit so was kommen sie ganz schlecht zurecht. Sie mögen es recht amüsant finden, anderen Menschen beim Emotionen haben zuzuschauen, halten aber spontane Positiv-Regungen an sich selbst für unpassend. Es sei denn bei großen Sportereignissen sowie überraschenden Siegen ihres Heimatfußballvereins. Philipp sagt immer: "Puppe, überleg doch mal: Wenn wir beide so emotional wären, wie sähe dann unser Mobiliar aus?"

Philipp ist vernünftiger als ich. Und, das hatte ich schnell gemerkt, er gehört zu der Sorte Mann, die viel mit sich alleine ausmacht.

Ich hingegen mache eigentlich nie etwas mit mir alleine aus. Dafür bin ich einfach nicht der Typ. S. 62-63

Ich finde es irgendwie belastend, dass etwas in meinem Leben achtzehn Jahre her ist und ich mich hervorragend daran erinnern kann. Morgen werde ich zweiunddreißig sein. Dann wird mein erster Liebeskummer zwanzig Jahre her sein, mein erster Geschlechtsverkehr fünfzehn Jahre, mein Abitur vierzehn Jahre und mein erster Strafzettel wegen Falschparkens dreizehn Jahre.
Himmel, wie das klingt: "Vor zwanzig Jahren ..."

Meine Vergangenheit nimmt zu. Und meine Zukunft ab. Ich bin kinderlos und unbemannt und sagenhaft unglücklich. Im Grunde bin ich in den letzten Jahren keinen Schritt weitergekommen. Bloß älter geworden.

Ich möchte so gerne mal einen Mann haben, mit dem ich gemeinsam zurückblicken kann. Mit dem ich nicht nur eine Gegenwart und eine Zukunft teile, sondern auch eine Vergangenheit. Sich alleine erinnern finde ich bedauerlich. Das macht schwermutig. Aber zusammen kann man in Erinnerungen und alten Zeiten schwelgen, kann lachen und sich freuen, dass man schon so lange beieinander ist, dass man einen so großen, wertvollen Schatz an gemeinsam Erlebtem besitzt. Ich hätte gerne eine Liebe, für die es sich lohnt, Fotoalben anzulegen. Dicke Alben in rotem Leder, auf die goldene Jahreszahlen geprägt sind.

Goldene Jahre.
Unsere Goldenen Jahre.
Weihnachtsfeste. Geburtstagspartys. Gemeinsame Reisen.

Gemeinsame Freunde. Gemeinsame Kinder. Fotos von lachenden Gesichtern, die von Album zu Album faltiger werden, aber fröhlich bleiben. Fotos von Wohnungen, neuen Nestern und Höhlen, die gemeinsam bezogen werden. Fotos von Liebe. Die sich verändert. Die nicht vergeht. Ein ganzes Regal voll mit Alben. Voll mit Leben. Gemeinsamem Leben.

"Piiiep... Achtung, hier ein dringender Verkehrshinweis: Vollsperrung der A 24 Richtung Hamburg hinter Gudow wegen eines umgestürzten LKW. Ich wiederhole: Vollsperrung der A24 ab Gudow. Autofahrern wird empfohlen, die Autobahn in Zarrentin zu verlassen. Piiiep ..."


"saved my Iife from a broken heart..."

Na bravo. Erst Trennung, dann Vollsperrung. In meinem Leben geht aber auch alles schief. Es ist tatsächlich genauso, wie meine Großmutter Amelie Tschuppik nach dem Genuss von vier Mirabellen-Likörchen zu sagen pflegte: "Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen." S. 122-123

Lesezitate nach Ildikó von Kürthy - Herzsprung










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Titel von
Ildikó von Kürthy
 Taschenbuch



Mondscheintarif

© 1999



Mondscheintarif

Das Buch zum Film
© 2001

 Audiobook



Mondscheintarif

2 CDs
© 2001


© 23.11.2001 by
Manuela Haselberger
Quelle: http://www.bookinist.de