Sebastian Haffner - Geschichte eines Deutschen (Buchtipp/Rezension/lesen)
Lesezitat


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Lesezitat

Die Geschichte, die hier erzählt werden soll, hat zum Gegenstand eine Art von Duell.

Es ist ein Duell zwischen zwei sehr ungleichen Gegnern:einem überaus mächtigen, starken und rücksichtslosen Staat, und einem kleinen, anonymen, unbekannten Privatmann. Dies Duell spielt sich nicht auf dem Felde ab, das man gemeinhin als das Feld der Politik betrachtet; der Privatmann ist keineswegs ein Politiker, noch weniger ein Verschwörer, ein »Staatsfeind«. Er befindet sich die ganze Zeit über durchaus in der Defensive. Er will nichts weiter, als das bewahren, was er; schlecht und recht, als seine eigene Persönlichkeit, sein eigenes Leben und seine private Ehre betrachtet. Dies alles wird von dem Staat, in dem er lebt und mit dem er es zu tun hat, ständig angegriffen, mit äußerst brutalen, wenn auch etwas plumpen Mitteln.

Unter furchtbaren Drohungen verlangt dieser Staat von diesem Privatmann, daß er seine Freunde aufgibt, seine Freundinnen verläßt, seine Gesinnungen ablegt, vorgeschriebene Gesinnungen annimmt, anders grüßt als er es gewohnt ist, anders ißt und trinkt als er es liebt, seine Freizeit für Beschäftigungen verwendet, die er verabscheut, seine Person für Abenteuer zur Verfügung stellt, die er ablehnt, seine Vergangenheit und sein Ich verleugnet, und vor allem für alles dies ständig äußerste Begeisterung und Dankbarkeit an den Tag legt.

Das alles will der Privatmann nicht Er ist wenig vorbereitet auf den Angriff, dessen Opfer er ist, er ist kein geborener Held, noch weniger ein geborener Märtyrer. Er ist einfach ein Durchschnittsmensch mit vielen Schwächen S. 9-10

 


Lesezitat aus Sebastian Haffner - Geschichte eines Deutschen



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Sebastian Haffner - Geschichte eines Deutschen

ebastian Haffner starb 1999. Der in Berlin 1907 geborene Publizist schrieb u.a eine Reihe historischer Bestseller wie "Churchill", "Anmerkungen über Hitler" und "Von Bismarck zu Hitler".
Ursprünglich studierte er Jura, aber aufgrund seiner äußerst individualistischen Geisteshaltung war es ihm nicht vergönnt, diesen Beruf in Deutschland auszuüben.
Genervt vom nationalsozialistischen Gleichmacherzwang emigrierte er 1938 nach England, wo er für den Observer zu schreiben begann.

Sein Buch über die "Geschichte eines Deutschen" ist die ganz persönliche Sicht der gesellschaftlichen Entwicklung während des ersten Weltkrieges, der Weimarer Zeit und der aufkeimenden NS-Ära Sein literarischer Erstling ist keine detaillierte Beschreibung der Lebensverhältnisse wie man sie z.B. von Victor Klemperers Tagebüchern gewohnt ist. Klemperer betrachtet von außen, während Haffner ein Abbild fertigt, das die Empfindungen und Gedanken eines klugen und gebildeten Menschen zeigt, der als "Volksgenosse mit allen Möglichkeiten" über zweieinhalb Jahrzehnte hinweg die Machtergreifung des Pöbels miterlebt.

In exzellenter Sprache grübelt Haffner über seine Generation nach. Wie hatte das geschehen können, dass Adolf Hitler die Macht übernahm. Als Berliner Kind erlebt er Geschichte aus erster Hand, ob Kriegsende, Hyperinflation oder SA-Märsche. Alles gehört in sein Lebensumfeld. Als schlimm empfindet er den Terror der Nazis und ihren Anspruch auf das Privatleben der Deutschen. Im Gegensatz zum Auftreten früherer Machthaber erfährt Haffner oft am eigenen Leib wie die braune Kultur sich Stück um Stück in die private Lebenswelt des einzelnen Bürgers vorschiebt und damit die Menschen mehr und mehr vereinnahmt.

Eben dieser Umstand vertreibt den angehenden Rechtsreferendar aus seiner Heimatstadt - sein privates wie auch berufliches Umfeld entwickelt sich bereits 1933 in rasantem Tempo zu einem Leben in der Gesinnungsschnüffelei.

Trotzdem kann er sich sehr gut in die Haltung seiner Zeitgenossen gegenüber dem neuen, mächtigen Mann, Adolf Hitler, hineinversetzen: Wieso die einen zustimmend reagieren, wie die anderen überrollt werden und wie der geistige Widerstand derjenigen, die sich 1933 noch spöttisch zurückhalten, bis 1938 scheibchenweise zerbröselt, weil keine ihrer Vorhersagen hinsichtlich der Beständigkeit des 1000jährigen Reiches und seinem bald zu erwartenden Ende in Erfüllung gehen sollen.

Haffners Buch ist literarisch eine Art "missing link". Viele Sachbücher und Romane, die sich mit der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen beschäftigen, tun dies häufig mit lautem Aufschrei über Machtmissbrauch, Konzentrationslager und Judenverfolgung. Doch diese Art der Literatur fokussiert zu stark auf das himmelschreiende Unrecht, auf die Highlights, schlechthin die großen Geschichtsereignisse dieser Zeit. Haffners Sach-Roman ist virtuoser, pointierter und sehr viel privater, weil es sich bei seinem Buch nicht um einen Opfer- oder Täterbericht handelt, er keine berühmte oder berüchtigte Persönlichkeit der Zeit ist, sondern ein einfacher, gebildeter junger Mann aus gut-bürgerlichem Haus, der mit feinem Spott und guter Beobachtungsgabe seine Zeitgenossen beschreibt.

Haffner selbst wollte dieses Buch wohl nicht veröffentlichen. Erst in seinem Nachlass kam das Manuskript zu Tage. Hätte er früher einer Publikation in Deutschland zugestimmt, so hätte die Kritik sein Werk möglicherweise zerrissen, weil er viel zu wenig auf die Opfer des Nazi-Regimes eingeht und zu sehr egoistisch seine eigene Situation reflektiert. Dafür entschuldigt er sich auch einige Male, aber genau darin liegt die Stärke dieses Buches: Er liefert dem heutigen Leser ein präzise umrissenes Sittenbild der damaligen Gesellschaft - insofern ist Haffners Buch ein wichtiges Bindeglied zum Verständnis der Lebensumstände im Dritten Reich. Sein ganz persönlicher Bericht ist weit von den heute gängigen schulischen Unterrichtsdarstellungen wie der Propaganda, der Gleichschaltung, die Verhaftungen, Progrome ... entfernt.

Haffner beleuchtet uns eher die Frage wie es zum Nationalsozialismus in breiter Masse kam, indem er uns in die Abgründe der Seele eines deutschen Durchschnittszeitgenossen blicken lässt: Den ersten Weltkrieg, Weimar und das Dritte Reich genoss seine Generation eher unter dem Blickwinkel von Cowboy und Indianer-Spielen oder Zeitungs- und Sportmeldungen. Ähnlich wie mancher heutige Zeitgenosse.
Nicht zuletzt aus dieser Perspektive ist Haffners autobiografischer Roman unbedingte Pflichtlektüre für jeden zeitgeschichtlich und politisch interessierten Menschen. © manuela haselberger

Sebastian Haffner -
Geschichte eines Deutschen
Die Erinnerungen 1914-1933
© 2000, Stuttgart, DVA, 240 S.
© 2003, dtv, 367 S., 9,50 €
© 2001, München, der hörverlag, 5 CD, 26.00 €
© 2001, der hörverlag, 4 MC, 26.00 €
auch als Audiobook erhältlich

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© 19.01.2001 by
Manuela Haselberger
Quelle: http://www.bookinist.de