Nadine Gordimer - Ein Mann von der Straße (Buchtipp/Rezension/lesen)
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Raubtiere vor dem Sprung. Geschart um ein kleines Auto mit einer jungen Frau darin. Die Batterie will nicht mehr, und Taxis, Personenwagen, Kleinbusse, Laster, Motorräder drängeln und drohen einander, schnauzen sie an, fluchen, es ist ein Verkehrsmob, der seine eigene Konfusion inszeniert. Na los doch. Blöde Kuh. Idikazana lomlungu, le! Sie hebt die Hände, die Handteller offen, ergibt sich. Das Gerangel geht weiter, das ungeduldige Hupen. Sie steigt aus und stellt sich. Einer der arbeitslosen Schwarzen, die betteln, indem sie Autos in Parklücken winken, schlüpft geschickt zwischen Stoßstangen durch, deutet mit dem Kopf: "Mach schon, mach, setz dich rein!", und dreht pantomimisch an einem Lenkrad. Noch einer wie er taucht auf, und die beiden schieben sie und ihren Wagen in eine Einfahrt. Die Straße hetzt weiter. Die beiden schauen versonnen an ihr vorbei, während sie nach ihrem Portemonnaie tastet. Ein rascher Kennerblick auf das, was sie ihm in die Hand gedrückt hat, bestätigt dem Straßenboss, dass es mehr als angemessen ist. Sie weiß gar nicht, wie sie ihnen danken soll usw. Er strafft den Körper, um das Geld in einer Hose zu verstauen, die einem anderen gepasst hat, und lächelt, hält dabei schon Ausschau nach dem nächsten Wagen, der einen Parkplatz sucht. Eine Frau mit einem Frottéhandtuch um den Kopf, die auf einer Obstkiste hinter ihrem Sortiment an Kämmen, Rasierklingen, Bimssteinen, Wollmützen und Kopfschmerzpulvern thront, ruft ihm etwas zu, was in einer Sprache, die die junge Frau nicht versteht, eine neckende Bemerkung sein muss.S. 9


Lesezitat nach Nadine Gordimer - Ein Mann von der Straße


Bookinists Buchtipp zu


Die Hauswaffe

von Nadine Gordimer




Ein Mann von der Straße
Nadine Gordimer - Ein Mann von der Straße

m Original ist der Titel des Romans "Ein Mann von der Strasse" der südafrikanischen Nobelpreisträgerin Nadine Gordimer doppeldeutig: "The Pickup".

Zum einen bezeichnet dies den neuen Wagen, den Abdu, der Mechaniker für Julie besorgen soll, nachdem ihr alter nicht mehr zuverlässig fährt. Andererseits ist damit der junge Mechaniker selbst gemeint, den Julie in der Autowerkstatt kennen lernt und in den sie sich verliebt.

Julie ist weiß und stammt aus einer wohlhabenden südafrikanischen Familie. Ihr Vater bewohnt mit seiner zweiten Frau eine exklusive Villa. Doch Julie hat sich von ihrer Familie mit dem ganzen Reichtum losgesagt. Sie möchte finanziell unabhängig sein und wohnt in einer kleinen Mietwohnung. So passt Abdu mit seiner schwarzen Haut und seinem ölverschmierten Overall, der sich unter falschem Namen illegal in Südafrika aufhält, nicht in ihr gewohntes Umfeld. Dafür ist seine Anziehungskraft auf Julie umso größer. "Ich entschloss mich, unsere Zukunft hinauszuschieben, und zwar auf eine möglichst lange Zeit, und inzwischen alles so zu lassen, wie es war."

Doch die Mühlen der Bürokratie sind auch in Südafrika zuverlässig und Abdu wird aufgefordert, das Land zu verlassen und in seine Heimat, ein verarmtes Dritte-Welt-Land, zurückzukehren. Auch ein Anwalt (er war schon im letzten Roman "Die Hauswaffe" mit dabei) kann nur eine Frist von zehn Tagen für Abdu erreichen.

Während für Abdu die Ausweisung die existenzielle Katastrophe bedeutet, sieht Julie darin ein verlockendes Abenteuer und begleitet ihn zu seiner Familie. Abdu fürchtet sich davor, wie sie sich in der neuen Umgebung einleben wird, doch als er nach einem Jahr ein Visum für Amerika hat, erlebt er eine Überraschung. "Seine Überzeugung, dass Liebe ein Luxus ist, den er sich nicht leisten kann, hat sich als richtig erwiesen."

Es ist die aktuelle Situation im heutigen Südafrika, die Nadine Gordimer zwischen die Buchdeckel packt. Mit einer ungeheuren Tiefenschärfe leuchtet sie die unterschiedliche Wahrnehmung von Verhaltensweisen und Gesten bei Julie und Abdu aus, die häufig zu Missverständnissen führt. Längst ist die schwarze Bevölkerung in ebenso gesellschaftlich relevanten Positionen als Rechtsanwälte, Richter und Mediziner tätig und die Gesprächsthemen drehen sich um Aktienkurse und Börsendaten. Während Julie sich durch ihre Herkunft am oberen Ende der gesellschaftlichen Leiter befindet, und es sich leistet, diese zu verschmähen, ist Abdu dabei, die untersten gesellschaftlichen Sprossen zu erklimmen und schon diese werden ihm verweigert.

Die Frage der Hautfarbe ist aus den Köpfen ebenfalls nicht zu verbannen. Zum Beispiel die feinen, noch immer vorhandenen Unsicherheiten im Verhalten. So überlegt Julie genau, ob sie, als sie Abdu kennen lernt und er für sie eine Batterie an ihrem Auto auswechselt, wie sie sich bewegt. "Es war schwierig auf der Straße neben ihm zu gehen, die Leute mussten ihnen ausweichen, aber sie mochte nicht vor dem Mechaniker hergehen, als wäre er eine Art Diener."

Ein Buch, das eine Menge Informationsstoff bietet, ohne ihn allzu dick aufzutragen und dazu ausgezeichnet mit einer traurig, schönen Liebesgeschichte unterhält. Das alles in einer ausgewogenen Mischung - absolut perfekt. © manuela haselberger


Nadine Gordimer - Ein Mann von der Straße
Original: The Pickup, © 2001
Übersetzt von Heidi Zerning
© 2001, Berlin, Berlin Verlag, 271 S. / 19.90 €
© 2001 Audiobookversionen auf MC und CD erhältlich

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Fortsetzung des Lesezitats ...

Da ist die Werkstatt, wie sie gesagt haben. Als sie hineinging, sah sie ihre Gewöhnlichkeit, eine Landung in der Normalität: Fahrzeuge als hilflose, harmlose Opfer auf hydraulischen Hebebühnen, Werkzeuge auf Tischen, Wasserspender, Plastikbecher und Pizzakartons, ein Radio plärrte, und ein Mann lag auf dem Rücken halb unter einem Wagen. Es waren noch zwei andere da, die sich mit irgendeiner lärmenden Maschine beschäftigten und sie zu dem Liegenden hinüberwinkten. Die Beine und der untere Teil des Körpers bewegten sich beim Klang ihrer entschuldigenden Stimme schlängelnd unter dem Wagen hervor, und der Mann tauchte auf. Er war jung, in verdreckter Arbeitskleidung, lange ölverschmierte Hände baumelten an langen Armen; er war keiner von ihnen - der weiße Mann sprach mit dem schwarzen Mann an der Maschine Afrikaans -, sondern hatte glänzende dunkle Haare und schwarze Augen in bläulichen Schatten. Ohne jegliche bestätigende Aufmerksamkeit oder Bemerkung hörte er ihr zu. Sie wartete einen Augenblick in seinem Schweigen.
Könnten Sie also jemanden schicken, der mal nachsieht... das Auto steht um die Ecke.

Er starrte auf seine Hände. Gleich, ich muss mich nur waschen. Er trug eine sperrige Tasche ohne Tragegnif mit einer neuen Batterie und Werkzeug, und es war schwierig, auf der Straße neben ihm zu gehen, die Leute mussten ihnen ausweichen, aber sie mochte nicht vor dem Mechaniker hergehen, als wäre er eine Art Diener. Schweigend brachte er das Auto in Gang und fuhr es mit ihr auf dem Beifahrersitz in die Werkstatt.

Da ist noch was - ich weiß nicht - mit der Zündung. Ich glaub, Ihr Auto wird wieder stehen bleiben.
Dann lass ich's besser hier. Ich nehm an, es muss sowieso mal durchgesehen werden.
Wann war die letzte Inspektion?
Sie lächelte schuldbewusst. Ich weiß nicht mehr.
Wie lange her?S. 13 Es folgt ein Zeitraum, zu dem sie und vielleicht auch er prüfend zurückkehren werden - sich bald an dieses, bald an jenes erinnernd, denn die Vergangenheit hat keine Ganzheit, ist von unterschiedlichen Erklärungen zurechtgestutzt, von nachträglichen Erkenntnissen niedergetreten worden - ihr ganzes Leben hindurch.

Was gab diesem Zeitraum seinen besonderen Charakter? Er zog jeden Tag den Overall an und fuhr in die Werkstatt. Sie begab sich wesentlich später in eine Büroetage im zehnten Stock und nahm auf ihrem spezialangefertigten Sessel (ein Geschenk eines Klienten) Platz an einem aus Elementen zusammengesetzten Schreibtisch mit herrlichem Blick auf die Stadt, über einen Computer, eine Telefonanlage und subtropische Zimmerpflanzen hinweg, die monatlich erneuert wurden, oder sie holte eine Popgruppe vom Flughafen ab. Sie verließen ihr Bett und gingen auseinander in der Gewissheit, dass sie sich am Ende jedes Arbeitstages wieder darin finden würden. Wer oder was immer ihm nachstellte, konnte ihn hier nicht erreichen. Tagsüber getrennt, fuhren sie am Wochenende oft ins Veld, wie sie die Umgebung nannte, ob es nun Grasland oder Berge waren. Dort gingen sie spazieren, lagen und sahen den Wolken nach, dem Flügelschlag der Vögel, amüsiert, wie es Liebende sind, über die Unterschiede in dem, was für den anderen an den Wahrnehmungen, die sie austauschten, selbstverständlich war. Sie waren niemals weit genug fort, um nicht die Brandung der Straße, von der sie abgebogen waren, unter dem Rauschen der Luft und den vorüberziehenden Vogelrufen zu hören. Die Vögel beachteten sie nicht - im Gegensatz zum unvermeidlichen Interesse der Tafelrunde im EL-EY Café. Sie legte sanft die Hand auf seine glatte Kehle und sagte verträumt: Stille zu hören. Wir tun es nie.

Für ihn war das nicht Stille, dieses Schlaflied des fernen Verkehrs, das sie für Stille hielt. Stille ist Einöde; die Wüste.
Ums Dorf herum?
Überall. Sobald du ein paar Schritte gehst, ein paar Meter von deinem Haus. Deinem Haus? Natürlich.
Und du hast da früher gespielt, mit deinen Freunden? Nein, nein - nicht da draußen, nie. Auf der Straße.

Was hast du gespielt - Fußball? Was waren das für Spiele, wenn du nicht gerade etwas über die Innereien von Autos gelernt hast?

Dann können sie über den falschen Autoschlosser lachen, und sie streicht seinen dichten Schnurrbart glatt, der in der Sonne glänzt, und Küsse folgen. Sie bringt etwas zu essen und auch Bücher für diese Stunden mit, wenn sie sein Verschwinden verdoppeln, zusammen verschwinden im Veld, aber die Schriftsteller, die sie bevorzugt, sind im Allgemeinen nicht die, die er von seinen Englischkursen an der Universität kennt (in der Wüste?, in einer Postkartenoase? - es gibt keine Fotos). Er ist Zeitungsleser; er kauft beim letzten Straßenverkäufer am Stadtrand alle Sonntagszeitungen, und die bauschen sich raschelnd um sie, Segel im Wind, wenn sie auf einer alten Zeltplane liegen, die sie im Auto mitführt. Er liest die Zeitungen mit angespannter Konzentration und einer prinzipiellen Skepsis. Manchmal fragt er sie nach der Bedeutung eines ihm nicht geläufigen Ausdrucks. Sie beobachtet ihn heimlich, wenn er vergessen hat, dass sie da ist - eine der beschaulichen Beschäftigungen Liebender: er liest, als hinge sein Leben von dem ab, was da steht. Das Buch, in dem sie gelesen hat, liegt auf ihrer Brust, aufgeschlagen bei einer Seite, wo sie auf einen Satz gestoßen ist, der für sie geschrieben zu sein scheint, lange bevor sie auf die Welt kam, bevor sie in diesem Zeitraum ihres Lebens anlangte. Sie hat ihn wieder und wieder gelesen, so dass er laut geschrieben steht, in der Luft um sie, um ihn und sie, am Himmel, der auf sie herunterschaut. "Ich entschloss mich unsere Zukunft hinauszuschieben, und zwar auf eine möglichst lange Zeit, und inzwischen alles so zu lassen, wie es war." S. 41

Das Meer ist der Inbegriff einer Oase für die trockene Welt, seine Tiefen voll vielfältigem Leben, seine Oberfläche frei, mit Routen, die keine Grenzen kennen, die Flut steigt bald an dieser Küste, bald an jener.
Aln siebten Tag des Aufschubs hinterlässt der Anwalt eine Nachricht auf ihrer Mailbox. Sie sollen um halb vier zu ihm kommen.
Er verlässt die Werkstatt ohne Erklärung - das ist jetzt nicht mehr wichtig. Sie fährt ihn ins Cottage, damit er sich umziehen kann; sie möchte ihm nicht sagen, dass es nicht nötig ist, den Anzug zu tragen, seine eleganten Jeans genügen vollkommen. Beiden schnürt es die Kehle zu, als hätte sich dort angehaltener Atem festgesetzt. Der Ausdruck unter den Hautfalten, in den halb verhangenen Augen, ist unverändert. Der Anwalt schüttelt ihnen die Hand, ihr, ihm, und sie nehmen Platz. Als er spricht, wendet er sich nur an den Ausländer, denn was er zu sagen hat, betrifft ihn - die junge Frau ist Nigel Ackroyd Summers´ Tochter, hat Motsamai ihn informiert, ihr droht keine Gefahr, sie gehört hierher. Alle Möglichkeiten sind ausgelotet worden. Bis hinauf zur höchsten Ebene, möchte er hinzufügen. Motsamai ist äußerst hilfreich gewesen. Es ist vollkommen ausgeschlossen, dass ihm unbefristeter Aufenthalt gestattet wird. Er bedauert außerordentlich, sagen zu müssen: es kann nichts weiter getan werden, weder von ihm noch von sonst jemandem. Er muss dem Klienten das mitteilen, um ihm vergebliche Hoffnungen und unnötige Kosten zu ersparen. "Offen gestanden - selbst wenn Sie es als äußerste Maßnahme in Erwägung ziehen sollten, nicht einmal Geld würde die richtige Hand finden. Wie Sie sicher in den Zeitungen gelesen haben, sind soeben in der betreffenden Behörde, in der zuständigen Abteilung, mehrere Fälle von Korruption aufgedeckt worden."

Was gibt es noch zu fragen; aber die beiden warten. Anfangs wiederholt der Anwalt, was er gesagt hat; Klienten wollen schlechte Nachrichten oft nicht hören, nicht aufnehmen, sie glauben an den Anwalt, ignorieren die Grenzen seiner Möglichkeiten, vergessen, dass sie sich selbst in diese Lage gebracht haben.

Dann plötzlich wendet er sich an die junge Frau, als müsse das, was er zu sagen hat, dem Klienten von einem ihm nahe stehenden Menschen schonend beigebracht werden - zu hart, um es ihm ins Gesicht zu sagen. "Er wird das Land innerhalb von zehn Tagen verlassen müssen. Es ist mir gelungen, die Frist von einer Woche um drei Tage zu verlängern."S. 93

Die Geschichte vom unbegreiflichen Verhalten des jungen Mannes aus armer Familie, der sich in ferne Länder begeben und es dort zu nichts gebracht hatte, sondern bei seiner Heimkehr nur eine ausländische Ehefrau vorweisen konnte, war von Haus zu Haus gegangen, von Café zu Marktbude, war hochgeweht zu den Anwesen der wenigen wohlhabenden und wichtigen Leute - die Frau, die ein Mitglied der Familie beschäftigte, horchte neugierig ihr Dienstmädchen aus, Maryam, die Schwester des jungen Mannes.

Der BMW hielt wieder vor dem Haus. Diesmal war keine Rede von Tee und Süßigkeiten oder davon, dass das Paar es vorzog, im Anbau zu bleiben. Er sagte, wir müssen hin, und sie saßen ein wenig abgesondert vom Rest der Familie, als der Onkel eintrat und alle sich erhoben. Er begrüßte sie weniger bürgermeisterlich, aber korrekt.

Es ist dem Onkel zu Ohren gekommen, dass der Sohn seiner teuren Schwester und seines angesehenen Schwagers sich an politischen Umtrieben beteiligt. Alle sind sich darüber einig, dass ein junger Mann Freunde braucht, mit denen er reden kann, ein bisschen Vergnügen, wie es die Männer fern vom Haus und den Frauen finden. Seine Selbstsicherheit gestattete ihm, sogar in dieser Situation einen Scherz zu machen, aber niemand kicherte. Die Männer, die ihre Schwächen, auf die er anspielte, kannten, nämlich ein bisschen Kif zu rauchen und in einer getarnten Bar Alkohol zu trinken, die Frauen, die so klug waren, ihre Männer nicht zu fragen, wohin sie abends gingen, alle waren kleinlaut, als teilten sie geschwisterlich die Schuld für die Vergehen des Bruders, die über ihre eigenen hinausgingen. Nun, Kif und Whisky und sogar hin und wieder eine andere Frau - S. 195

Lesezitate nach Nadine Gordimer - Ein Mann von der Straße










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© 23.11.2001 by
Manuela Haselberger
Quelle: http://www.bookinist.de