"Wilhelm Genazino - Mittelmäßiges Heimweh"

Mittelmäßiges Heimweh
"Wilhelm Genazino - Mittelmäßiges Heimweh"

ilhelm Genazino zählt zu den besten deutschsprachigen Autoren der Gegenwart. Für sein literarisches Schaffen wurde er 2004 mit dem Georg - Büchner - Preis ausgezeichnet, dem bedeutendsten deutschen Literaturpreis. Sein neuer Roman "Mittelmäßiges Heimweh" wurde sofort nach Erscheinen für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert und hat die besten Chancen, diesen auch zu gewinnen. Genazino, ein Schriftsteller, bei dem sich Superlativ an Superlativ reiht. Dabei ist seine Art des Schreibens, seine genaue Beobachtungsgabe, seine Reflexion von alltäglichen Situationen gar nicht modern und temporeich, sondern eher altmodisch bedächtig.

Dieter Rothmund, den vollen Namen des Protagonisten erfährt man erst nach hundert Seiten, ist Anfang vierzig, arbeitet als Controller bei einem Pharmakonzern und pendelt an den Wochenenden regelmäßig zu Frau und Tochter in den Schwarzwald. Seine Ehe dümpelt seit Jahren vor sich hin, Aufregendes passiert nicht. Ein einschneidendes Erlebnis widerfährt Rothmund, als er in einem Lokal sein linkes Ohr verliert. Es fällt einfach ab - ohne Schmerzen zu verursachen oder eine Wunde zu hinterlassen. "Mühsam mache ich mir klar, dass ich seit ein paar Minuten in einer Tragödie lebe. Während der letzten Jahre habe ich immer mal wieder in Tragödien gelebt. Insofern ist das tragische Lebensgefühl für mich nichts Neues. Aber diesmal scheint es sich um eine bösartige Tragödie zu handeln." Seltsamerweise reagiert Rothmunds Umwelt kaum auf seinen Verlust, aber er selbst ist total verunsichert, welche Konsequenzen dieser Vorfall für ihn haben wird.

Als ihm dann noch seine Frau lapidar erklärt, dass sie seine Stimme einfach nicht mehr mag, und außerdem ein Verhältnis mit einem befreundeten Architekten im Nachbardorf hat, steht Rothmund vor einem Scherbenhaufen. "Ab sofort zähle ich zu den vielen Menschen, die eine missratene Ehe zu ihrem Lebensmüll zählen müssen."

In den Abendstunden wandert Rothmund als einsamer Müßiggänger durch die Straßen der Stadt, beobachtet die Menschen, die ihm begegnen, und versucht langsam wieder eine Richtung in seinem bescheidenen Dasein zu finden.

Rothmund verkörpert einen Charakter, der eigentlich eher zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts angesiedelt ist, mit seiner bedächtigen Art, seine Umwelt zu beobachten und die eigenen Gedanken und Reflexionen zu ordnen; unaufhörlich lauscht er in sich hinein. Die präzise Formulierung dieser Erkenntnisse ist eine absolute Genazino - Spezialität, die heute nur mehr selten zu finden ist.

"Hat das schon einmal jemand gesehen, wie eine Möwe einem Bus nachschaut und dabei ein schmerzlich schönes Möwengesicht kriegt?" Ja, bei Genazino! Und er beschreibt es wie keiner sonst.
manuela haselberger

Wilhelm Genazino -    Mittelmäßiges Heimweh     Originaltitel: »«, © 2001     Übersetzt von     © 2007, München, Hanser Verlag, 189 S., 17.90 € (HC)     ISBN-13 978446208186     © 2007, München, Hanser Verlag, Audio-CD               gebundenes Buch           Audiobook CD
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