Pia Frankenberg - Klara und die Liebe zum Zoo (Buchtipp/Rezension/lesen)
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ES GAB TAGE, an denen wollte Klara sich aus dem Fenster im siebten Stock lehnen und gegen alles anbrüllen. Gegen die hupenden Taxis und die Autos, die sich beim Kampf um die bessere Startposition an den Ampeln lebensgefährliche Gefechte lieferten; gegen die vibrierenden Bässe, die aus den geöffneten Wagenfenstern wummerten und ihre Fensterscheiben zittern ließen, gegen die Trommler im Central Park, die Jugendlichen, die auf den Parkbänken herumhingen und sich grundsätzlich nur kreischend verständigten; gegen die Gas-, Strom-, Telefon- oder Kabelgesellschaften, die wochentags nacheinander dasselbe Stück Straße vor ihrem Haus zuerst aufrissen und anschließend wieder asphaltierten; gegen die Megaphonstimmen, die sonntags morgens um sieben aus dem Park herüberschallten und den Wettlauf gegen Brustkrebs, den Marsch gegen Aids oder die Aktion "Adoptiere ein verlassenes Haustier" mit anfeuerndem Gebrüll begleiteten.

"HALTET DOCH EINFACH ALLE MAL DAS MAUL !!!!!"


Lesezitat nach Pia Frankenberg - Klara und die Liebe zum Zoo


Verlustängste und andere Katastrophen
Pia Frankenberg - Klara und die Liebe zum Zoo

s ist ausgerechnet der zwölfte Umzugskarton, der Klara, die gerade in die Wohnung ihres neuen Mannes in New York eingezogen ist, ins Schleudern bringt. Ein altes Foto, das ihr beim Auspacken in die Hände fällt, stellt sie vor die Frage, ob sie tatsächlich alle Entscheidungen in ihrem Leben richtig getroffen hat.

Auf dem Bild ist sie mit Lenny, ihrem Freund, der sie bei ihren Reisereportagen nach Südamerika vor zwanzig Jahren begleitet hat, zu sehen. Oder hätte sie mit Johannes, dem Vater ihres sechzehnjährigen Sohnes zusammen bleiben sollen?

In einem sehr klaren Ton beschreibt Pia Frankenberg in ihrem Roman "Klara und die Liebe zum Zoo" eine Frau in der Mitte des Lebens, die die Grundfragen nach Alter und Tod nicht mehr länger ausblenden kann. Doch bei Klara ist es so, dass sie den lauernden Tod überall entdeckt und dies sie über Tage und Wochen hinweg unfähig macht, irgendetwas zu unternehmen. Was passiert, wenn George, ihr neuer Mann, der immerhin zwanzig Jahre älter ist, plötzlich stirbt? Und Klara ist in jeder Sekunde ihres Lebens dafür gewappnet. "Sie musste lernen, überhaupt ohne alles auszukommen. Schließlich konnte alles jederzeit vorbei sein, und darauf musste man vorbereitet sein.

Sehr früh schon hat Klara in ihrer Kindheit ihre Eltern verloren und diese Verlustängste drängen sich in ihrem Leben immer mehr in den Vordergrund. "Sie war nicht von Trauer ergriffen, allenfalls von einer großen Verwunderung über die Macht des Todes, der alle Pläne und Gefühle unerbittlich unterworfen waren. Sie hatte schon damals nicht gewusst, wie sie mit dem ungebrochenen Selbstvertrauen von Menschen umgehen sollte, die von keiner solchen Macht je in ihre Schranken gewiesen worden waren, und die immer aufs neue optimistisch die Zukunft stürmten."

Für Klara werden diese Ängste zu bedrängend und schnüren ihr die Luft ab. Sie nimmt kaum wahr, dass sie dabei ist, die Liebe ihres Mannes und auch die ihres Sohnes zu verspielen. Einzig die Eisbären im Central Park bieten einen Ruhe- und Fluchtpunkt in ihrem Leben.

"Klara und die Liebe zum Zoo" ist ein bestechend gut geschriebener, sehr ehrlicher Roman, dem viele Leser zu wünschen sind. © manuela haselberger





Pia Frankenberg -
Klara und die Liebe zum Zoo
2001, München, Kunstmann Verlag, 240 S.,
18.92€

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Fortsetzung des Lesezitats ...

Die Stadt hielt die Luft an, die rote Leuchtschrift "A & E Biography Today" auf der Hochhausfassade am Central Park South fror ein, ein seit einer Viertelstunde jaulender Autoalarm verstummte, die Gesichter der Jugendlichen und der Passanten wandten sich suchend nach oben in die Richtung, aus der Klaras Stimme klang... nur drüben auf der East Side, auf der Madison Avenue, sprach eine blonde, junge Frau noch laut in ein Mobiltelefon. Klaras Blick zoomte mit Schallgeschwindigkeit über Central Park West, Sheep's Meadow, Baumwipfel, Parkbänke und die Fifth Avenue durch die siebzigste Straße, bis ihr Blick, ein leuchtender Strahl aus einem Zyklopenauge, vor der Frau bremste, mitten auf der Madison, und einen brennenden Reifen um sie herumfräste.

"ALLE, hab ich gesagt!! Du AUCH! SCHNAUZE!!!"

Die Frau ließ das Telefon sinken. Etwa fünf Sekunden, so lang gehorchte der Moloch; der Krawall, das ganze ununterbrochen egozentrisch krakeelende Universum war tatsächlich vor Klaras Zorn verstummt.

Die Blonde schüttelte verwirrt die sorgfältig bauschig gefönte und in präzise Unordnung geschnittene Haarpracht. Dann preßte sie den Hörer wieder ans Ohr. Ihre Hand machte eine erklärende Geste in den Wind, bevor sich ihr kleiner, runder Mund unweigerlich öffnete, und wie auf Kommando setzte der Lärm wieder ein. Der leuchtende Strahl schoß zurück über den Park zur West Side, glitt durch Klaras Fenster, kehrte heim in ihr resigniertes Gesicht. Ein Blick nach Süden verriet ihr, daß sie heute Abend, wenn sie es wünschte, in "Biography" alles über Brad Pitts kurzes bisheriges Leben erfahren konnte. Und die Temperatur, klärte die Schrift sie fürsorglich auf, betrug achtundachtzig Grad Fahrenheit.

An solchen Tagen besuchte Klara den Eisbären im Central Park Zoo. S. 7-8

KLARA BETRACHTETE DIE TAUBEN, die draußen vor ihrem Fenster auf dem Kasten der Klimaanlage lautstark für die Erhaltung der Art sorgten, und fragte sich, wo und wie eigentlich Vögel starben. Nie sah sie tote Tauben, Krähen oder Spatzen, die der Anzahl der noch Lebenden relativ gesehen entsprechen würden, so gut wie nie lag ein toter Vogel plötzlich vor ihr auf der Straße oder im Park. Zogen sie sich zurück? Wollten sie beim Sterben nicht gesehen werden? Ließen sie sich weit draußen ins Meer fallen? Wo blieben die Vogelleichen?

Klara schüttelte ihre Gedanken ab, stand abrupt auf, griff zu der Liste, die Paul ihr geschickt hatte und setzte ihren neuen, hellgrauen Filzhut auf Sie mußte sich beeilen, wenn sie am Abend rechtzeitig in der Schule sein wollte.

Die Frauen in Manhattan, beobachtete Klara, hatten einen ganz speziellen Gang. Sie bewegten sich gleichgültig, fast arrogant, die Nase und das Kinn trugen sie hoch, dabei bemühten sie sich, so auszusehen, als stünden sie über den Dingen. In Wahrheit wirken sie, als hätten sie Angst. Klara ertappte sich dabei, wie auch sie aufrecht, mit herausgedrücktem Brustbein - ihren kleinen Stadtrucksack auf dem Rücken -, mit genau abgezirkelten, beschleunigenden Armschwüngen pfeilgerade und, ohne nach rechts oder links zu sehen, auf ihr Ziel zusteuerte. Die Luft war frisch und roch leicht nach Fäulnis, unter ihren Füßen zerfiel knusprig-trockenes Laub, die Stadt wirkte herbstlich aufgeräumt. .

Auf dem Weg zur Garage kaufte sie beim Koreaner an der Ecke asiatische Tütensuppen, im Supermarkt eine bestimmte Sorte Frühstücksflocken und Kekse und betrat dann "Tower Records", wo sie gleich hinter der Drehtür orientierungslos im Gang stehenblieb und den Verkehr aufhielt.
"Können Sie mir sagen, wo ich das hier finde?"
Sie hielt einem schwarzen Jungen mit Rastalocken und tief über dem Hintern herabhängender Jeans ihre Liste hin und zeigte auf die Titel zweier CDs, die Paul in seiner graffitiähnlichen Handschrift aufs Papier gemalt hatte. Ohne ein Wort schlurfte er zu einem Ständer und zeigt vage auf mehrere Reihen kreischbunter Titel, die in Klara eine Art unruhigen Schwindels auslösten. Sie wünschte, der Junge hätte ihr die CDs einfach gegeben, aber er war schon wieder zwischen den Reihen verschwunden. Aus den Lautsprechern der Ethno-Abteilung nebenan klapperten die Congas, Timbales und Maracas der Afro Cuban All Stars, "Guajira, ei son te llama, a bailar, a gozar.. .". Sie zwang sich, ihre Augen ruhig zu halten und sich auf die verschiedenen Rap-Cover zu konzentrieren. Tatsächlich fand sie, was sie suchte.

An der Kasse hatte sich eine Schlange gebildet, und sie mußte warten. Klara sah durch die Drehtür nach draußen und verfiel in einen Tagtraum, in dem eine Menge toter Vögel urplötzlich vom Himmel fielen und draußen auf dem Broadway eine Panik auslösten. Nach einer Weile spürte sie einen Blick auf sich ruhen, eine Frau in der Warteschlange sah sie aufmerksam an. Als sie Klaras Augen begegnete, machte sie eine entschuldigende Bewegung.

"Verzeihen Sie, daß ich Sie so anstarre, es ist nicht ... also ich finde nicht, daß Sie irgendwie merkwürdig sind, oder so... mir gefällt nur einfach Ihr Hut."
Klara antwortete ohne nachzudenken.
"Aber ich bin merkwürdig."
Die Frau sah sie erschrocken und verunsichert an. Klara hatte das Gefühl, sie müsse etwas richtigstellen.
"Es ist okay ich bin merkwürdig, Sie dürfen das ruhig sagen." Sie hob in komischer Hilflosigkeit die Hände und zog die Schultern hoch, einige der Umstehenden und die Frau begannen zu lachen. Die Heiterkeit war ansteckend, und Klara genoß es, die Auslöserin dieser wärmenden, gemeinschaftlichen Unbeschwertheit zu sein. S. 165-167

Lesezitate nach Pia Frankenberg - Klara und die Liebe zum Zoo













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© 20.9.2001 by
Manuela Haselberger
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