... reinlesen


<<   WEITERE BÜCHER   >>




Bookinists Buchtipp zu

T.C. Boyle

Ein Freund der Erde

©

Auch wenn es heute nur noch Tilapia-Sushi aus Flusswels und Sake zu essen und trinken gibt, und Rindfleisch wie Bier zu den ausgestorbenen Dingen gehört, Tys Exfrau ist trotz ihres Alters immer noch eine richtig geile Braut: "O ja Andrea. Sie hat mich geschmort in diesem Schmelztiegel, mit ihren glühenden Augen und dieser Stimme wie heiße Asche, und mit ihrem Körper, ihrem wunderschönen, festen Körper einer Rucksackreisenden, den stämmigen Beinen, den fraulichen Hüften und allem anderen."


Unplugged
Tom Coraghessan Boyle - Drop City

ei den amerikanischen Verlegern hat Tom Coraghessan Boyle - better known as T.C. Boyle den Beinamen "story-telling machine". Seit seinem Debutroman "Wassermusik" (1981, den ich für seinen erzählerisch stärksten halte) veröffentlicht er Buch um Buch, schneller als die Jahre an seiner Tastatur vorbeiziehen.

Wer Boyle liest, weiß dass er, der Kalifornier, so nach und nach die US-amerikanische Geschichte für sich aufarbeitet - ob erste Kolonisation (Worlds End) oder auch der Zusammenbruch des Ökosystems in einigen Jahrzehnten Ein Freund der Erde, Boyle interessiert der Durchschnittsamerikaner, seine lokale Verstrickung, seine Ausweglosigkeit vor dem Schicksal - wenn man so will, die (liebenswerte) Schafsmentalität vieler Menschen in diesem riesigen Land.

Ist Boyle ein Pessimist? Ja und nein.
Ein schönes Beispiel ist sein aktueller Roman "Drop City". Eine Landkommune, Anfang der 70er Jahre, Woodstock weit am Horizont, junge Amerikaner, die aus der Spießbürgerlichkeit des Elternhauses ausbrechen, vor dem stupiden Farmerdasein in Illinois flüchten, einen VW-Bus, ein Oldsmobile, einen Ford nehmen, die Route 66 von Chicago nach Kalifornien fahren, wie viele eine Generation zuvor, Hitchhiker, Gleichgesinnte aufsammeln und irgendwo ankommen, wo Gras, Drogen und freie Liebe den Alltag bestimmen, wo es verstopfte Aborte, Abwasch- und Ernährungsprobleme gibt und den wachsamen Sheriff aus der Umgebung, dem das Treiben ein Dorn im Auge ist.

Man spürt, dass Boyle hier streckenweise wohl eigenes Erleben verarbeitet, eine Jugend im Aufbruch, in ihrer Haltung heroisch, in ihrer Lebenseinstellung naiv und blöd, an einem funktionierendem Gemeinwesen nur in ihren Drogenpausen interessiert, stinken die Probleme der Hippies, die mit vielleicht 40 Leuten und Kindern auf einer heruntergekommen Farm leben, im wahrsten Sinn des Wortes zum Himmel - überall um die Gebäude tritt man in "Ka(c)ktusse".

Keine 70er Nostalgie, wie man sie derzeit mit Oliver Geissen im deutschen Fernsehen hingenudelt bekommt, und aber auch kein Woodstock-Mythos, sondern der ungeschminkte Blick auf die Hippiekultur der 70er Jahre - eine weite Strecken schlichte, historische Betrachtung des damaligen amerikanischen Jugendlichen, die Durchgeknalltheit, die Musik, der Rausch, der Sex in Boyles präziser Sprache erfasst und beschrieben - allenthalben immer noch ein literarischer Leckerbissen, obwohl sein persönlicher Biss im Lauf der Schriftstellerjahre weniger hart ist, seine ironischen und witzigen Vergleiche seltener geworden sind, der kleine Bleistift des Lesers, mit dem man die tollen Passagen im Buch anstreicht ("Die Bäume waren an ihre Schatten angepflockt"), weniger zu tun hat, als in seinen früheren Romanen.

Norm Sender ist das Kommunenoberhaupt, er, schon etwas älter, hat die Farm seiner Eltern geerbt und sie zu einem Eldorado für Aussteiger, zu Drop City gemacht. Doch sein Ärger mit den Behörden eskaliert - der Sheriff lässt die Bulldozer anrücken.

Norm erinnert sich, dass sein Onkel eine Hütte in Alaska besaß - weit ab jeglicher Zivilisation. Also, was liegt näher, man bricht hier im warmen Süden die Zelte ab, kauft einen alten ausgedienten gelben Schulbus, pflastert ein Weidegatter auf das Dach des Buses, um die allgegenwärtigen Ziegen, die mit ihrer Milch die Hauptnahrungsquelle der Hippies darstellen, mitnehmen zu können.

"Vereinigte Washo-Schamanen" ziert zunächst die Flanken des Fahrzeugs, das später kiloweise in naiver Hippie-Pop-Art mit Farbe überzogen, röchelnd seinen Weg nach Alaska findet.

Dort angekommen sind die "Familien-Mitglieder" alles andere als willkommen, andererseits haben die lokalen Holz- und Fallenstellertypen an den "Bräuten" durchaus Interesse, so dass man sie gewähren lässt.

Der Winter allerdings wird brutal - Flower-Power meets Alaska-Natur. Dass das nicht gut gehen kann, wenn unerwachsene Kinder, bei minus 50 Grad ein bisschen Robinson spielen, kann man sich unschwer vorstellen.

Aber es wäre kein echter Boyle-Roman, wenn nicht die Gewalttätigkeiten des Daseins zuschlagen würden: Vergewaltigung, Verhaftungen, Unfälle, Schlägereien, Mordversuche und der kalte, einsame Tod - Boyle, das ist aus dem vollen Leben geschöpft, kreativ und mörderisch, verspielt, einfältig, weltfremd, und am Ende kommt die Natur, die Bestie, zu ihrem Recht.

Wohl keiner hat in den letzten 30 Jahren so genau auf den Glamour der Hippie-Kultur geschaut, manchmal bis ins Detail, wenn alle sich gegenseitig in einem ihrer Hunderten von Meetings anmachen, weil irgendjemand die Filzläuse eingeschleppt hat. Sex and Drugs and Rock'n Roll, aber so wie´s nun manchen Orts halt wirklich war, das bekommt man hier zu lesen.
thomas haselberger



   Tom Coraghessan Boyle -
   Drop City
    Originaltitel: »Drop City«, © 2003
    Übersetzt von Werner Richter
    © 2003, München, Hanser Verlag, 528 S., 24.90 € (HC)
   






zur Homepage
von T.C. Boyle





weitere Titel von
T. C. Boyle:

Taschenbuch:


Wassermusik

© 1990


Worlds End

© 1992


Grün ist die Hoffnung

© 1993


Willkommen in Wellville

© 1994


Der Samurai von Savannah

© 1995


America

© 1998


The Tortilla Curtain
(America)

© 1999


Riven Rock

© 200


Kurzgeschichten
(Taschenbuch)


Mein Abend mit Jane Austen

© 19xx


Wenn der Fluß voll Whisky wär

© 1994


Greasy Lake und andere Geschichten

© 1993


Der Fliegenmensch und andere Stories

© 2001


Kurzgeschichten
(gebunden)


Wenn der Fluß voll Whisky wär

© 1991


Tod durch Ertrinken

© 1995


Fleischeslust

© 1999


gebunden:


Der Samurai von Savannah

© 1992


Willkommen in Wellville

© 1993


America

© 2000


Ein Freund der Erde

© 2001


AUDIOBOOK


Hinter deiner Schulter geht die Welt unter
Töne zu Texten von TC Boyle

© 1999

 Bookinists
 amazon shop

  hier klicken


© 26.10.2003

by Manuela Haselberger
www.bookinist.de

Free counter and web stats