Er war einer von denen, die über alles reden konnten - Essen, Kino, Musik oder~ aktuelle Ereignisse -, aber mitten im Gespräch spürte man plötzlich, dass er sich in Gedanken mit ganz etwas anderem beschäftigte, das überhaupt nicht dazugehörte. Da sitzt man mit ihm am Tisch, und er verschwindet einfach und ist nicht mehr zurückzuholen. Wenn er mit mir schlief, spulte er das Programm so mechanisch herunter - ich hätte vor Wut platzen können.
Stille Leidenschaft hätte mir schon gereicht. Aber nach einer Weile war ich richtig beleidigt: Er schlief mit mir, wie man mit dem Wagen zur Arbeit fährt: auf Autopilot. Unbeteiligt und unaufmerksam. Ich will damit sagen, dass er kaum merklich im selben Zimmer mit mir war, wenn wir zusammen im Bett gelegen haben. Er hat Viel zu wenig auf meine Regungen geachtet. So was von primitiv. Er hat beim Sex vor sich hin gesummt, als ob er eine Glühbirne auswechseln würde. Wenn er sich beim Zeichnen auf mich konzentrieren konnte - warum konnte er sich dann nicht auf mich konzentrieren, wenn ich nackt im Bett vor ihm lag? Das war mir unbegreiflich. Zunächst glaubte ich noch, dieses schwerwiegende Problem mit seiner geistesabwesenden Liebe würde sich irgendwann schon legen, besser werden oder ganz verschwinden.
Ich suchte weiter nach einem Zugang zu seinem Herzen, aber immer ohne Erfolg.
Allmählich verlor ich meine Zuversicht. Das war ungefähr zu der Zeit, als er mir einen Heiratsantrag machte und ich Ja sagte. S. 43-44
Wohnzimmer §
Küche §
Küchentisch #
Schlafzimmer y
Dusche j
Keller í
Sah aus wie eine Checkliste. Zunächst nahm ich an, sie sei damit durchs Haus gegangen und habe kontrolliert, ob alles an Ort und Stelle sei. Ich warf den Zettel in den Papierkorb und ging wieder in die Küche zurück.
Nach dem Essen holte ich die Liste wieder aus dem Papierkorb und sah mir die rätselhaften Symbole noch einmal genauer an. Was hatten diese jungen Leute in meinem Haus getrieben? Wohnzimmer, hatten sie notiert und dahinter dieses Paragrafenzeichen gemalt. Ich ging ins Wohnzimmer und setzte mich, aber nicht aufs Sofa, sondern auf den Fußboden. Ich schloss die Augen und stellte mir die beiden Haushüter vor, wie sie hier im Wohnzimmer so ineinander verschlungen waren, dass ihre Körper ein ~ bildeten. Sie lachten, sie kamen zusammen, dann wurden sie ernst und ruhten aus.
Ich malte sie mir aus, diese Kinder, diese Neulinge in der Liebe, wie sie, typisch jung, das Haus erkundeten, in allen Zimmern miteinander schliefen, und wie das Mädchen dann eine Liste aufstellte, wo und wie sie es getrieben hatten; und als ich so da saß, hörte ich den glücklichen Schrei schon wieder, ganz deutlich, und ich dachte: In diesem Haus spukt es nicht, aber es hat ein Gedächtnis, dieses Haus erinnert sich an alles, was die Menschen hier getan haben, und dann spielt es, zerstreut und gelangweilt wie ein Papagei, die dazugehörigen Geräusche noch einmal ab. Ich ging durch die Zimmer, tastete mich durch die Leidenschaften, die diese Kinder hier ausgelebt hatten, sah sie vor mir im Bett, geformt zu einem ~ einem Baum mit zwei Wipfeln und vier Ästen, einem Yen. Ich hörte ihre Liebesschreie. Ich empfand weder Angst noch Überraschung ob dieser Entdeckung.
Im Keller spürte ich die beiden förmlich an mir vorbeigehen, spürte die Erinnerung an ihre physische Anwesenheit: wie der Junge, Oscar, mit dem Mädchen, Chloe, geschäkert hatte, während sie sich meine Bilder ansahen und darüber sprachen; das Mädchen stand nach vorn gebeugt, und der Junge berührte sie ... S. 110
Die Arbeit im Jitters war nun auch nicht mehr dieselbe.
Pärchen, ganz normale Amerikaner, kamen Hand in Hand oder Arm in Arm herein und behandelten sich wie Leckerbissen. Sie kauften ein Pfund Kaffee oder bestellten einen entkoffeinierten Cappuccino, sie setzten sich an einen Tisch und unterhielten sich, steckten die Köpfe zusammen, und langsam, aber sicher fanden ihre heimlichtuerischen Knie zueinander. Tag für Tag wurde mir diese vertraute Szene, die ich selbst in Fest der Liebe gemalt hatte, als eine ausgemachte Tatsache, als etwas Wirkliches vorgeführt. In Wahrheit gibt es nur zwei Wirklichkeiten: die für Menschen, die verliebt sind oder einander lieben, und die für Menschen, die sich außerhalb von all dem befinden.
Der bloße Anblick von Glück ließ mich innerlich stöhnen. Wenn ich jetzt in den Parks spazieren ging, sah ich nur noch Pärchen, Leute wie Chloe' und Oscar in allen Variationen. Wenn ich an einer Ampel stand, knutschten vor mir Pärchen auf dem Hintersitz, manchmal auch auf den Vordersitzen. Und ich sah mir das an. Ich sah, wie sie ihm den Nacken streichelte. Ihn dort kraulte. Mit den Löckchen spielte. Ich sah Leute, die ohne jeden Grund lächelten. Einfach nur lächelten, glücklich und zufrieden. Das machte mich wütend. Ich litt am Glück der anderen.
Dass in Michigan von November bis April alles zu Hause bleibt, ist ein Segen. Aber von Mai bis September sind sie draußen, überall sichtbar, und wenn man Single ist, öffnet sich einem da plötzlich ein Fenster zum Himmel, nur dass man keine Möglichkeit hat hineinzukommen.
Meine Auffassung von Kunst änderte sich. Jetzt bemalte ich meine Leinwände nicht mehr, ich verwüstete sie. Harry Ginsberg sagte einmal dazu: "Ich habe ja schon von Action-Painting gehört, aber das hier ist etwas Neues. Bradley, du bist zum Pionier im Reich des Sichtbaren geworden. Du hast Aktionismus und Pop hinter dir gelassen. Was du hier betreibst, ist Zerstörungsmalerei. Du bist der erste Maler des neuen Jahrtausends." S. 246
Lesezitate nach Charles Baxter - Fest der Liebe